"Tanz mal wieder"

"Tanz mal wieder": So heisst eine Veranstaltung der Alzheimer Gesellschaft in Siegen zusammen mit  zwei Städten und einer Tanzschule hier. Es ist keine neue Erkenntnis: Bei Menschen mit Demenz kommt durchs Tanzen ganz viel von früher wieder in Erinnerung - das Gehirn, was Menschen mit Demenz im Stich lässt, scheint durch das Tanzen wieder etwas in die Gänge zu kommen. Ich war mit meinem Kamerateam für die WDR Lokalzeit bei "Tanz mal wieder". Und es war ein überraschender und bewegender Dreh.

 

Vielleicht verfolgt ihr mein Leben hier im Blog ein wenig, dann wisst ihr bestimmt, dass mein Vater dement war. Ich weiss, dass er sehr darunter gelitten hat, seinen Verstand schwinden zu sehen. Einmal haben wir Briefe geschrieben, und er wusste nicht mehr, wo er die Adresse auf dem Umschlag hinschreiben sollte. Wir versuchten das mit einem Lineal, aber es klappte nicht. Am Ende sassen wir beide verzweifelt vor den Briefen und weinten.

Ich finde es wichtig, über Demenz aufzuklären und auch darüber zu berichten. Das mit meinem Vater ist wohl einer meiner Beweggründe, vielleicht treibt mich auch an, dass ich selbst Angst davor habe, dement zu werden. Als ich von dem Tanzangebot las, dachte ich, da musst du drüber berichten. Auch, weil ich mit meinem Vater auch zum Tanzen gehen wollte - nur er wollte irgendwie nicht so richtig.

 

Also jetzt: "Tanz mal wieder". Ich beginne, den Dreh zu organisieren. Es muss natürlich darüber informiert werden, dass das Fernsehen kommt. Worüber ich mir so gar keine Gedanken gemacht habe: Die Veranstaltung richtet sich an Menschen mit und ohne Demenz. Das soll dann beim Dreh bei mir noch zu einiger Verwirrung und Erkenntnis führen. Ich treffe mich mit meinem Kamerateam eine halbe Stunde bevor der Tanz beginnt. Und mit uns trudeln die Menschen ein, begleitet von ihren Pflegern im Heim. Denn viele Pflegeheime nutzen das Angebot. Es kommen aber auch Menschen einfach so: Die Veranstaltung richtet sich ja an alle.

 

Für meinen Film war ich auf der Suche nach einer Familie oder einem Ehepaar, wo ein Partner dement ist. Ich wollte dann mit dem "gesunden" Menschen über den kranken Partner sprechen. Aber Angehörige waren fast gar nicht da. Und ich kam mir komisch vor: Soll ich jetzt hier herumfragen, wer dement ist und wer nicht? Das fand ich unpassend. Und einfach die Menschen ansprechen unverfänglich, und dann irgendwie aus der Antwort etwas zu schliessen. Das war in der Tat schwieriger, als ich dachte. Es steht den Menschen zumindest bei einer beginnenden oder leichten Demenz nicht auf die Stirn geschrieben. Ich werde etwas nervös, weil ich eine Redaktion im Rücken habe, der ich ja einen Film über tanzende Menschen mit Demenz angekündigt habe - hmm. Was nun?

Ich mache ein Interview mit der Organisatorin der Alzheimer Gesellschaft. Sie lacht, als ich ihr meine Überlegungen berichte. Sie sagt, das sei doch genau das, worum es hier gehen soll. Hier soll getanzt werden und die Menschen sollen Spass haben und unbeschwert sein, egal ob mit oder ohne. Und sie sagt, dass sie diese Frag oft mitbekommt. Am Anfang wird sondiert, aber wenn es dann erst mal los geht, spielt Demenz überhaupt keine Rolle.

 

Ich lasse also das Sondieren und bin gespannt, was jetzt so passiert. Es sind etwa vierzig Menschen hier, die älteren so zwischen 80 und 90, die jüngeren so 50 - das sind die Mitarbeiter aus den Pflegeheimen. Es gibt ein kleines Durcheinander, bis sich alle an ihre Tische gesetzt haben. Wir sind in einem schönen Tanzsaal - eine Wand ist komplett verspiegelt. Von der anderen Seite strahlt die Sonne in den Raum. Alle sitzen also. Aha. Am Anfang eines Drehs werde ich manchmal nervös, wenn ich denke: Das wird nix, das wird nix, die sitzen ja alle. Keiner tanzt.

Meist sind meine Ängste unbegründet - und hier bei Tanz komplett! Denn die Chefin der Tanzschule begrüßt alle, startet die Musik und alle - man könnte fast sagen - stürmen die Tanzfläche - wie eben 80jährige eine Tanzfläche stürmen können. Da geht mir das Herz auf. Denn schon da habe ich eine Ahnung davon, dass Tanzen etwas mit Menschen macht, ganz egal, ob mit oder ohne Demenz. Und ich stehe neben einem feschen 80jährigen mit schwarzem Rollkragenpullover. Ehe ich mich versehe, tanzen wir beide zusammen. Es funktioniert auch bei mir. Das Glück, das mich da durchströmt, mit meinem unbekannten Partner zu tanzen, ist unbeschreiblich. Ich kann übrigens keine Standardtänze. Ich bewege mich eher wie ein großer Elefant. Aber ich werde elegant geführt, die Schritte und die Haltung bei meinem Partner sind 1A. Gelernt ist gelernt, denke ich und wir unterhalten und kurz. Ich überlege noch, ist er jetzt dement? Ich kann es nicht sagen und ich entschliesse mich, darüber nicht mehr nachzudenken sondern einfach nur mit meinem Kamerateam das Glück einzufangen, das alle Menschen hier gerade empfinden.

 

Tanzen hat einen therapeutischen Effekt für Menschen mit Demenz. Wenn sie es früher einmal gelernt haben, können durch das Tanzen Erinnerungen hochkommen, das erzählt die Organisatorin der Alzheimer Gesellschaft. Aber auch die Bewegung und die Berührung sind dabei wichtig. Die Frau erzählt mir von einem Erlebnis, das sie aber auch selbst zum Nachdenken gebracht hat, weil es zeigt, das vieles auch anders ist, als man so denkt. Sie tanzte mit einem Mann, der eine schwere Demenz hatte und nicht mehr sprach. Sie begleitetet ihn zum Tisch zurück, er setzte sich aber nicht hin, sondern blieb stehen. Sie dachte, vielleicht weiss er nicht mehr, wie man sich hinsetzt und dachte, dann setze ich mich hin, dann mache ich es ihm vor. Sie setzte sich, und dann verbeugte sich der Mann, sagte Danke schön und setzte sich ebenfalls. Ein Gänsehautmoment für sie. 

Ich habe einen Gänsehautmoment, als die Chefin der Tanzschule als kleine Pause einen Sitztanz vorschlägt. Küss mich halt mich lieb mich: eine Textversion von Drei Nüsse für Aschenputtel. Und wie beseelt alle hier mitmachen und sich küssen und halten und lieben. Ich sehe das Glück in den Gesichtern. Der Wahnsinn. Dann geht es noch mal auf die Tanzfläche - Paartanz. Ein Mann, der bestimmt auch über 80 ist, ist so beweglich in den Hüften, dass ich denke, so viel Hüftschwung habe ich aber nicht. Mein Tanzpartner vom Anfang beginnt zu weinen, weil seine Frau krank zu Hause ist. Ein Dame erzählt mir, dass sie schon immer hier tanzen geht. Ein Frau tanzt alleine und strahlt übers ganze Gesicht. Ein Mann über 90 fordert seine Tanzpartnerin mit den Worten "Darf ich bitten" und einer Verbeugung auf. Es gibt eine Polonaise durch den Raum. Und es tanzen übrigens alle - nur eine ältere Dame mag nicht, weil sie Schwindel hat.

 

Während ich hier schreibe, denke ich, ob das hier alles zu gefühlsduselig ist. Vielleicht ja. Aber so war es tatsächlich. Und natürlich ist das so, weil ich an meinen Vater denke. Wir hätten hier gut hingepasst, Papa. Schade, dass es so eine Veranstaltung zur alle zwei Monate hier gibt. Denn einfacher, als mit Tanzen, kann man kein Glück verbreiten - auch für Menschen ohne Demenz.

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