Macht es gut! Ellen und Manni gucken jetzt von oben zu

Für meine Eltern, die viel zu früh gestorben sind

Na, ihr zwei! Schaut ihr jetzt von oben zu, was Jölle (Bruder) und ich (Schwester) hier unten so treiben, wo ihr euch so mir nichts dir nichts vom Hof gemacht hat? Ich glaube, ihr wärt ganz zufrieden mit uns beiden, womöglich sogar etwas stolz. Weder Jölle noch ich hätten gedacht, dass ihr so schnell hintereinander sterbt. Wir haben uns auch keine großen Gedanken gemacht, was dann passiert. Totenscheine, Erbscheine und die Wohnung. Wir lassen uns Zeit, alles zu regeln. Und mit jedem Tag, der vergeht, wird es ein kleines bisschen leichter. Aber jetzt seid ihr nicht mehr da, und das tut sehr weh. 

 

Seit du gestorben bist, Papa, bin ich mindestens einmal in der Woche in eurer Wohnung. Manchmal muss ich lachen, weil ihr, so wie es aussieht, nie auch nur irgendetwas weggeworfen habt. Ich habe noch Dinge gefunden, die hatten wir schon in der ersten Wohnung in Dortmund. Es ist unglaublich. 

Ich habe in einem Schrank einen elektrischen Staubwedel gefunden - batteriebetrieben. Die Batterien waren leider ausgelaufen. Das Teil habt ihr uns verheimlicht! Ich höre dich lachen, Mutti, und mir im Geiste aus dem Wohnzimmer zurufen, dass das ein richtig blöder Fehlkauf war und du nie im Leben damit Staub gewischt hast. 

 

Ich habe auch Liebesbriefe an dich, Papa, gefunden, die mich sehr gerührt haben. Den letzte hast du ihm noch vor wenigen Jahren geschrieben, darin stand, dass ihr das Leben weiterhin gemeinsam schaffen werdet. Da hattest du schon deine Brustkrebsdiagnose und Papa, du wusstest bestimmt, dass das mit dem Schaffen auch dir galt - denn dass deine beginnende Demenz dir unglaubliche Angst gemacht hat und du, das stelle ich mir jedenfalls vor, innerlich aufgelöst, ratlos, deprimiert und wütend warst, das hast du auch gespürt, Mutti, oder?

 

Und dann sitze ich in der Wohnung, fülle Müllsäcke mit Erinnerungen, die ich aber gar nicht alle aufheben kann. Kleine Dinge lege ich mir beiseite. Mutti, du hattest zum Beispiel ein Kästchen mit getrockneten Kleeblättern - Papa, ich habe deine Presseakte über den Mordfall mit nach Hause genommen, der dir am meisten in Erinnerung geblieben ist. Ein Mädchen wird in den 80er Jahren in Iserlohn ermordet - du erzählst mir davon. Der Bruder war verdächtig, es fehlte aber der schlagende Beweis. Und dann habt ihr in ohne Unterbrechung verhört - bis er fragte: Wieviel bekommt man denn dafür? Und da hattet ihr ihn - hast du mir oft stolz erzählt.Ich wünsche mir, dass ich diese kleinen Geschichten, die euch ausgemacht haben, nie vergessen werde.

 

In mein Gedächtnis einradiert hat es sich, wie ihr gestorben seid. Mutti, dein Abgang war typisch du. Du hast bis eine Woche vor deinem Tod die Zähne zusammen gebissen, hast versucht, dir wenig anmerken zu lassen, hast gelacht, trotz der schlimmen Schmerzen. Und nach einem Gespräch mit dem Onkologen hast du gefragt: Bin ich jetzt austherapiert? Da konnte ich dir nur mit ja drauf antworten. Dann - so stelle ich es mir vor - hast du dir gedacht: Jetzt ist Schluss. Zwei Tage später bist du gestorben. Am 22.9.2018. Du, Papa, hast Mamas Tod als erstes bemerkt. Nachdem die ganze Familie bei euch war, hatte Jölle am Abend Pizza geholt. Während wir aßen, gingst du ins Schlafzimmer zu Mutti. Als du wieder kamst, wußte ich es. Du hast im Kalender 19:15 notiert. Da warst du tot, Mama.

 

Und du Papa? Ich glaube, Mamas Tod hat dir jeglichen Lebenswillen genommen. Schnell wurde die Demenz sehr schlimm, oder vielleicht warst du, Mama, auch Papas Gerüst, das alles zusammen gehalten hat. Ohne dich ging kaum noch etwas. Eigentlich konnte ich gar nicht richtig um dich trauern, denn du, Papa, hast uns solche Sorgen gemacht. Wie sollten wir es schaffen, dass du Hilfe annimmst, bei deinem Dickkopf? Dann hatten wir dich halbwegs soweit, zumindest kam ein Pflegedienst dreimal am Tag, auch wenn du dir in  Nichts hast helfen lassen. Aber dieser Pflegedienst hat dich dann zum Glück (oder Pech) morgens gefunden, du hast im Wohnzimmer auf dem Boden gelegen - warst gestürzt. Ein böser Bruch in der Schulter.

 

Was dann kam, hätten Jölle und ich dir gerne erspart. Drei Monate im Krankenhaus - ich glaube, du bist ein klassischer Verlauf, Papa. Mehrere OPs weil die Schulter immer wieder aus dem Gelenk sprang, Intensivstation, Fixierung, Lungenentzündung, MRSA. Drei Monate warst du im Krankenhaus. Jedesmal, bevor ich kam, musste ich mich erst mal auf der Toilette sammeln und ein paar Tränchen verdrücken, bis ich zu dir konnte. Anfang Dezember ging es dir ganz gut, dann wieder ein Infekt, du warst kaum ansprechbar. Aber Jölle und ich haben gedacht, wenn es irgendwie wieder mit dir wird, dann zu Hause. Am 16. Januar 2020 haben wir es geschafft - du kamst nach Hause - mit Gabi, der Polin und dem Palliativdienst als Unterstützung. Drei Monate hast du deine Hände im Krankenhaus verkrampft, mit der ersten Minute zu Hause warst du entspannt. Aber du hattest keine Kraft mehr. Genau eine Woche warst du zu Hause, dann bist auch du gestorben. Wieder so ein Datum: Es war der 23.1.2020, gegen 9 Uhr morgens.

 

Viele haben gesagt, dass du jetzt wieder bei Mama bist und es euch beiden gut geht. Lange konnte ich das nicht glauben und nicht fühlen, aber mittlerweile habe ich Momente, in denen diese Gedanken mir gar nicht so abwegig vorkommen. Langsam kommen die Erinnerungen an meine lustigen Eltern, die nach uns schauen und uns weiter begleiten. Ich habe euch lieb.

 

PS: Euer Wohnzimmerschrank steht jetzt bei mir im Wohnzimmer. Tolles Teil!

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Kommentare: 5
  • #1

    Reini Boesi (Montag, 06 Juli 2020 16:09)

    Gelungen.
    Haltet Sie so in Erinnerung.
    Wunderbar.
    Ruhet in Frieden.
    Dein Bruder und Schwager

  • #2

    Tom Meier (Mittwoch, 23 September 2020 22:09)

    Ich fühle mit dir, Anke euch und verstehe die Gedanken, die auch mir irgendwie helfen mich an meine verstorbene Mama Anni, eine gute Freundin von Ellen, zu erinnern.
    Wir sehen uns nach meiner Reha. Alles Gute für deine Bemühungen
    Liebe Grüße
    Tom

  • #3

    Tom Schöning, Dortmund (Freitag, 23 Oktober 2020 13:38)

    Tolle liebevolle Zeilen.
    Die Zeit lässt sich leider nicht zurück drehen.
    Doch die schönen Momente bleiben einem ewig im Herzen
    und manchmal schmerzt leider auch das Herz.
    LG von einem alten Freund aus dem Block Westpark Do ;-)

  • #4

    Beatrice (Sonntag, 27 März 2022 18:09)

    Liebe Anke, lese gerade deinen Brief an deine Eltern, der mich sehr berührt. Und ich spüre, schreiben heilt. Dicke Umarmung�

  • #5

    Marion Renn (Montag, 09 September 2024 20:16)

    Liebe Anke,
    bin eben im WDR Fernsehen über Deinen Namen "gestolpert" und erinnerte mich an eine Klassenkameradin auf der Ricarda-Huch-Schule in Hagen, ewig her, scheinbar in einem anderen Leben. Vielleicht bist Du es ja? Deinen Beitrag eben fand ich sehr empathisch.
    Mein Geburtsname ist Turwitt, wir hatten keinen engen Kontakt.
    Deine Worte an Deine Eltern haben mich sehr berührt. Ich habe 2022 innerhalb von 10 Wochen auch meine Eltern verloren und freue mich über Deine Gedanken, die ich gut kenne.
    Ich wohne jetzt in Schmallenberg und habe hier meine Heimat gefunden.
    Keine Ahnung, warum ich Dir dies alles schreibe, aber falls Du magst, melde Dich doch gerne (mrenn57392@gmail.com oder 0177 3959480).
    Herzliche Grüße, Marion